Hollywood
im Fernsehformat
Von Schulz, Thomas
Die Krimi-Reihe
"CSI" ist durch ihre bildgewaltige Machart zur derzeit wohl erfolgreichsten TV-Serie der Welt geworden. Auch in Deutschland
sind die immer aufwendiger werdenden US-Produktionen plötzlich wieder beliebt, die heimischen Serien stecken dagegen in der
Kreativitätskrise.
In Hollywood
schreibt der amerikanische Traum oft seine eigenen Geschichten über den Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär. Das beste
Beispiel dafür ist Anthony Zuiker, 37.
Vor ein paar Jahren war
es leicht, Anthony Zuiker zu treffen. Man musste nur nach Las Vegas fahren und gegen Mitternacht die Straßenbahn am Casinohotel
Mirage nehmen - Zuiker war der Fahrer.
Heute dagegen ist es nicht
so einfach, zu ihm vorzudringen. Sein Terminkalender wird gleich von einer ganzen Horde von Sekretärinnen und Assistenten
verwaltet. So wie es sich eben gehört für die Schwergewichte der amerikanischen Unterhaltungsindustrie, zu denen Zuiker seit
dem 6. Oktober 2000 zählt.
Denn an diesem Abend wollten
überraschend rund 17 Millionen Amerikaner die erste Folge einer neuen Krimi-Serie über Kriminaltechniker und Gerichtsmediziner
sehen, obwohl sie vorher vom Sender CBS fast gar nicht beworben worden war. Der Erfinder, Chefautor und Co-Produzent der Serie
mit dem Titel "CSI - Crime Scene Investigation": der Casinobahnfahrer aus Las Vegas, Anthony Zuiker.
"Eigentlich kommt mir
das auch heute noch alles total verrückt vor", sagt Zuiker. Schließlich hatte er doch nur für einen alten Schulfreund, der
es in Hollywood zu einem recht erfolgreichen Fernsehschauspieler gebracht hat, ein paar Dialoge zum Üben aufgeschrieben. Doch
dann kam ein Anruf vom begeisterten Agenten des Schauspielerfreundes: Ob er statt Dialogen nicht auch gleich ein Drehbuch
schreiben könne?
Also kaufte Zuiker sich
drei Handbücher für Drehbuchautoren und schrieb das Skript für einen TV-Spielfilm. Prompt meldete sich Erfolgsproduzent Jerry
Bruckheimer ("Top Gun"): Ob er auch eine Fernsehserie erfinden könne?
Sechs Jahre später hat
sich "CSI" zu einem weltweiten Fernsehunternehmen entwickelt. Zur ursprünglich in Las Vegas spielenden Serie sind mit "CSI:
Miami" und "CSI: NY" zwei eigenständige Ableger hinzugekommen. Zusammen dominieren die drei Forensiker-Teams mit wöchentlich
rund 60 Millionen Zuschauern die Hauptsendezeit in den USA.
"Die Bedeutung von ,CSI'
kann man gar nicht überbewerten: Die Serie hat unseren Fernsehkonzern fast im Alleingang wiederbelebt", schwärmt CBS-Chef
Leslie Moonves.
Auch in Deutschland machen
die eher im Labor statt auf der Straße ermittelnden Cops die Senderchefs inzwischen glücklich: Mit zuletzt wöchentlich rund
sechs Millionen Zuschauern und teilweise werberelevanten Marktanteilen bis etwa 30 Prozent beschert "CSI: Miami" RTL schon
fast vergessene dauerhafte Quotenhöhen. Bei Vox sorgt die Serie aus New York für Einschaltquoten, die dreimal so hoch sind
wie der Senderschnitt.
Nicht anders sieht es
in Großbritannien, Frankreich, Spanien und all den anderen führenden TV-Märkten der Welt aus, wo "CSI" die jahrelang dominanten
einheimischen TV-Serien meist alt erscheinen lässt. "Es gibt weltweit im Fernsehen ein Comeback von Hollywood, und wir haben
es sicher mitausgelöst", sagt Zuiker.
Genaugenommen stimmt das
nicht so ganz, denn "CSI" wird nicht in Hollywood,
sondern in den CBS-Studios
produziert, und die liegen im eher wenig glamourösen San Fernando Valley genau auf der anderen Seite der Hollywood Hills,
ein paar Meilen nördlich von Los Angeles. Hier hat auch Zuiker sein Büro, ganz am Ende des Geländes, hinter Hallen, in denen
einst Teile von "Magnum" und "Dallas" produziert wurden.
Hollywood, das war bislang
immer ein Synonym für Kino- und Großproduktionen, und auch die Schauspieler wollten über Jahrzehnte meist nur in die eine
Richtung: von der Mattscheibe auf die Leinwand. So wurde aus Pierce Brosnan erst Remington Steele und dann James Bond, und
George Clooney wurde vom Krankenhausarzt zum Filmstar.
Aber die Zeiten haben
sich geändert: Film und Fernsehen mischen sich - und das hat wiederum viel mit "CSI" zu tun.
Schon in Zuikers Büro
sind die Hinweise dafür kaum zu übersehen. Gleich neben seinem Schreibtisch steht ein großes gerahmtes Foto von Zuiker mit
Quentin Tarantino. Der "Pulp Fiction"-Star war sich nicht zu schade, vergangenes Jahr die Schlussepisode der "CSI"-Staffel
zu schreiben und auch Regie zu führen. Von seinen aus dem Kino gewohnten Maßstäben musste er dabei nicht abrücken: Die Farben
sind düster, die Handlung ist brutal, sogar die Länge entspricht mit knapp 90 Minuten einem Kinofilm. Mit klassischen Fernsehserien
hat das nicht mehr viel zu tun - und das soll es auch nicht.
"Jede Folge ,CSI' soll
ein Mini-Kinofilm sein", betont Zuiker. Urheber dieser Philosophie ist allerdings nicht er selbst, sondern Blockbuster- und
Bombast-Produzent Jerry Bruckheimer, der mit "CSI" einen Ausflug ins Fernsehen wagte. In den vergangenen Jahren hat Bruckheimer
stets bild- und soundgewaltige Kassenknaller wie "Top Gun" und "Fluch der Karibik" produziert, im Fernsehen soll es nun nicht
anders sein. "Ich will Fernsehen wie Kino machen", sagt Bruckheimer.
Und das heißt vor allem
Special Effects, wie sie vor "CSI" eigentlich nur auf der Leinwand zu sehen waren: detailgetreue Kamerafahrten durch Blutbahnen
und Synapsen, Kugeln, die Organe in Slow-Motion durchschlagen. 10 000 Dollar kostet so ein ganz normaler Spezialeffekt, nach
oben ist die Preisskala offen. Insgesamt verschlingt jede der rund 40 Minuten langen Episoden etwa drei Millionen Dollar -
dafür werden in Deutschland bisweilen zwei komplette TV-Spielfilme produziert.
Wie inzwischen alle großen
Kinofilme entstehen die bildgewaltigen "CSI"-Folgen eigentlich erst in der Postproduktion am Computer. Hier wird den drei
Serien ihre jeweils eigene Atmosphäre, ihre eigene Farbe verpasst: hart und neon für die Las-Vegas-Ermittler, warme, tropische
Farben für "CSI: Miami" und kühle, graue und blaue Töne für die im Großstadtdschungel von New York spielenden Episoden.
Alle drei aber wirken
am Ende wie eine Mischung aus Hochglanzmagazin und Videoclip: Die Schauspieler sind stylish, die Kulissen glatt und poliert,
immer wieder wird die Handlung durch Flashbacks und rasante Kamerafahrten durch die menschliche Anatomie unterbrochen. Zuiker
ist sicher: ",CSI' hat das Fernsehen verändert."
Die kinoaffinen Krimis
haben die US-Serienproduktion stark beeinflusst: In den vergangenen Jahren tauchten plötzlich immer mehr aufwendige Hochglanzserien
auf, die auch mit ihren komplexen Handlungen und ausgereiften Charakteren eher an große Hollywood-Projekte als an Fließbandproduktionen
fürs Fernsehen erinnern - und sich jetzt immer mehr auch im deutschen TV-Programm durchsetzen.
Nachdem einige Jahre selbst
große Hits aus den USA von Publikum und Sendern verschmäht oder im Programm vergraben wurden, ist die neue Hollywood-Ware
plötzlich wieder zum Zuschauermagneten geworden.
ProSieben etwa feiert
Quotenerfolge mit dem Vorstadt-Drama "Desperate Housewives" und hob auch die auf einer Pazifikinsel spielende Mystery-Reihe
"Lost" ins Programm, deren Produktionskosten von 60 Millionen Dollar pro Staffel in jeder Sekunde zu sehen sind. RTL hatte
sich dagegen mit einer deutschen Billigvariante unter dem Titel "Verschollen" versucht, die großenteils im Studio entstand
- und scheiterte kläglich.
Auch Vox setzt auf den
Ami-Trend und hob unter anderem die "Gilmore Girls" ins Abendprogramm. Die Folge: Quoten weit über Senderschnitt, der ohnehin
dank immer mehr US-Serien steigt.
Die neuesten Hits der
vergangenen Monate sind schon verteilt: ProSieben zeigt unter anderem die sexy Krankenhaus-Reihe "Grey's Anatomy", RTL bediente
sich etwa beim "CSI"-ähnlichen Kriminaldrama "Bones" und der Arzt-Serie "House, M. D.", deren Kamerafahrten und Special Effects
stark an "CSI" erinnern. Noch nichts bekannt ist über "Commander in Chief" mit Geena Davis als erster weiblicher US-Präsident.
Seit Amtsbeginn von Kanzlerin Angela Merkel ist das Interesse noch einmal sprunghaft gestiegen.
Doch je mehr sich der
deutsche TV-Zuschauer mit sexgeilen US-Hausfrauen und smarten Forensikern anfreundet, desto weniger mag er sich offenbar noch
mit deutschen Friseusen und Kommissaren abgeben. Die deutsche Serie, heißt es bei den Privatsendern, stecke in der Krise.
Gefragt sind vor allem
neue Ideen. "Wir müssen durch alle Genres gehen und nach modernen Formen der Umsetzung suchen", sagt Barbara Thielen, die
neue Fiction-Chefin des Marktführers RTL. Die alten
nämlich funktionieren
nicht mehr so richtig: Bei einst überdurchschnittlich gut laufenden Serienhits wie "Hinter Gittern" oder "Alarm für Cobra
11" scheint nach rund zehn Jahren Sendezeit beim Zuschauer allmählich Langeweile ausgebrochen zu sein. Und an neue deutsche
Serien hat sich RTL dieses Jahr kaum herangewagt.
Nicht besser sieht es
bei Sat.1 aus, der Sender wartet seit "Edel & Starck" vergebens auf einen ebenbürtigen Nachfolger. Die Friseusen-Soap
"Bis in die Spitzen" liegt deutlich unter Senderschnitt, die Krimi-Serie "Der Elefant" erfüllt nicht annähernd die Erwartungen.
Allerdings setzt der Berliner
Sender nun auf Offensive: Gleich zehn neue eigenproduzierte Serien will Sat.1 dieses Jahr ins Programm bringen. Statt scharf
zu schießen, probieren es die Programmmacher nun lieber mit der Schrotflinte: Irgendetwas muss den Geschmack des deutschen
Zuschauers doch treffen.
"Wir entwickeln selbst
völlig neue Stoffe mit unkonventioneller Erzählweise", sagt Alicia Remirez, Abteilungsleiterin Fiction bei Sat.1. Da wird
etwa ein in Berlin gescheiterter Bundespolitiker in die Provinz geschickt, oder ein unter Gedächtnisverlust leidender ehemaliger
Polizist versucht den Mord an seiner Frau aufzuklären.
Doch selbst ausgefallene
Ideen ersetzen nicht das Gespür für den immer weniger berechenbaren deutschen Zuschauer: "Bis in die Spitzen" und "LiebesLeben"
gehören sicher zu den besten deutschen Serien der vergangenen Jahre - nur die Mehrheit der Zuschauer ließen sie kalt.
Kreativität ist trotzdem
das Einzige, womit sich die deutschen Serienmacher behelfen können. Denn bei Aufwand und Ausstattung können sie mit den Amerikanern
nicht mithalten. Mehr als 1000 Mitarbeiter arbeiten das ganze Jahr an den drei "CSI"-Varianten: Filmcrews, Bühnenbauer, Special-Effect-Spezialisten.
Insgesamt 72 "CSI"-Episoden werden jedes Jahr produziert - Akkordarbeit vor allem für die Autoren, die sich ständig neue,
möglichst bizarre Fälle ausdenken müssen.
"Das ist oft eine zermürbende
Arbeit", sagt Zuiker. Allerdings stehen ihm auch Ressourcen zur Verfügung, von denen deutsche Serienmacher nicht mal träumen
können: Bis zu zehn Co-Autoren füllen Zuikers Story-Ideen mit Handlungen und Dialogen aus. Vier bis acht Tage braucht ein
Autorenteam für ein Drehbuch, drei bis vier Wochen dauert es, bis eine fertigproduzierte Episode die Serienmaschine im San
Fernando Valley verlässt.
Angst
vor einer Überproduktion haben die Serienmacher um Zuiker nicht. Im Gegenteil: Der Erfolg im Ausland löst Überlegungen aus,
noch einen Gang zuzulegen. Zuiker: "Wir denken über ein internationales ,CSI' nach, das in einer europäischen Stadt spielt."